Politik stößt an Grenzen

Frankfurt am Main

Politik stößt an Grenzen

Die Anzeichen für eine konjunkturelle Stabilisierung in Großbritannien verdichten sich. Zwar dürfte das Bruttoinlandsprodukt im Gesamtjahr 2009 um 3,5 % schrumpfen, im zweiten Halbjahr hingegen wird das Wachstum vermutlich wieder positiv sein. Die Infla-tion wird im Trend weiter zurückgehen.
Die Bank of England weitet ihre quantitativen Maßnahmen aus und kauft zusätzliche Staatsanleihen. Dies dürfte helfen, den Renditeanstieg von Gilts zu dämpfen. Angesichts positiverer Konjunktursignale und einer ausufernden Staatsverschuldung bleibt der Ren-tenmarkt aber unter Druck. Unter den aggressiven Maßnahmen könnte vorerst auch das Pfund Sterling leiden, im Jahresverlauf wird die britische Währung aber zulegen können.

Konjunktur: Stimmungsaufhellung
Die Hoffnungen für die britische Wirtschaft nehmen zu, dagegen sieht die Realität aktuell noch sehr trüb aus. Im ersten Quartal 2009 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 1,9 % im Vergleich zur Vorperiode. Vor allem im Produktionssektor kam es zu einem schweren Einbruch. Das Verar-beitende Gewerbe stürzte um 6,1 % ab. Dies war der heftigste Rückgang in den letzten 60 Jahren. Der Dienstleistungssektor fiel mit 1,1 % so deutlich wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Nachfrage-seitig liegen noch keine Daten für das erste Quartal vor. Der starke Produktionsrückgang legt nahe, dass die Lagerhaltung erneut das Wachstum belastet hat. Die Korrektur in der Vorratshaltung dürfte damit aber ihren Höhepunkt überschritten haben. Im zweiten Halbjahr wird die Lagerkom-ponente positiv zum Wachstum beitragen.
Die Stimmungsindikatoren befinden sich zwar weiterhin auf niedrigem Niveau, verbessern sich aber mittlerweile auf breiter Front. Eine Trendwende kann kaum noch geleugnet werden. Das Konsumentenvertrauen erholt sich langsam nach dem tiefen Fall. Bei den Unternehmen ist die Stimmungsaufhellung spürbar. Die Einkaufsmanagerindizes steigen sowohl in der Industrie als auch im Servicesektor und im Baugewerbe. Sie liegen mit 42,9 bzw. 48,7 und 38,1 zwar noch unter der Wachstumsschwelle von 50. Die Indikatoren deuten aber an, dass das Bruttoinlandspro-dukt im Sommerhalbjahr nur noch marginal schrumpfen wird. Auch Befragungen aus dem Einzel-handel signalisieren eine merkliche Verbesserung.
Der Markt für Wohnimmobilien ist nach wie vor in einer schwierigen Situation. Die Hauspreisin-dizes weisen im Vorjahresvergleich zweistellige Minusraten auf, die Abwärtsdynamik verringerte sich aber zuletzt. Indikatoren wie Hypothekengenehmigungen, Transaktionszahlen oder die RICS-Hauspreisumfrage sprechen mittlerweile für eine Stabilisierung des Häusermarktes. Mit einer nachhaltigen Trendwende nach oben ist aber vorerst nicht zu rechnen. Die Wohnimmobilien haben zwar ihre Überbewertung korrigiert, als günstig können sie aber noch nicht eingestuft werden.
Die aggressiven Maßnahmen vonseiten der Fiskal- und Geldpolitik zeigen bei den Stimmungsin-dikatoren Wirkung. Die Finanzierungsbedingungen, gemessen an Geldmarktzins, Renditen für Unternehmensanleihen und dem Wechselkurs, sind sehr expansiv. Die Chancen auf eine zyklische Erholung auch mit Hilfe der Weltkonjunktur wachsen. Längerfristig ist das Wachstumspotenzial aber begrenzt: Die hohe Verschuldung bleibt ein Belastungsfaktor. Die privaten Haushalte werden in den nächsten Jahren vermutlich ihre Sparquote erhöhen, der Konsum wird damit unterdurch-schnittlich wachsen. Die Hauspreise besitzen nur ein begrenztes Erholungspotenzial. Der Staat wird angesichts seiner überbordenden Verschuldung in den kommenden Jahren eher wieder eine restriktive Fiskalpolitik verfolgen. Einer zyklischen Erholung stehen diese strukturellen Probleme allerdings nicht im Wege.

Inflation: Im flachen Abwärtstrend
Die Teuerung verlangsamt sich im März von 3,2 % auf 2,9 %. Verantwortlich für den Rückgang sind sinkende Energiekosten, teilweise auch bedingt durch Basiseffekte, sowie fallende Nah-rungsmittelpreise. Die Kernrate ohne Energie, Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak beträgt dage-gen unverändert 1,6 %. Die Einzelhandelspreise schrumpfen mit 0,4 % erstmals seit fast 40 Jahren. Ohne Berücksichtigung von Hypothekenzinszahlungen und Immobilienpreisen steigen die Einzel-handelspreise dagegen um 3,0 %. Auf Erzeugerebene halten sich die Outputpreise mit 1,2 % noch über der Nulllinie, die Inputpreise gehen aber um 5 % zurück.
diese Entwicklung. Die aktuell noch schwache Konjunktur spricht für einen Rückgang der Teue-rung. Die Arbeitslosigkeit steigt spürbar, das Lohnwachstum verlangsamt sich, inkl. Bonuszahlun-gen verringern sich die Löhne sogar. Die Kapazitäten sind nur gering ausgelastet, Preiserhöhungen können deshalb kaum durchgesetzt werden. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte trotz einer Erholung erst Ende 2010 wieder sein Wachstumspotenzial erreichen. Die Produktionslücke (Output Gap) wird bis dahin negativ sein und damit die Teuerung dämpfen. Die Preisveränderung wird vermut-lich aber nicht in den negativen Bereich rutschen. Die Abwertung des Pfunds sorgt dafür, dass die Importpreise kaum zurückgegangen sind und verhindert somit eine schnelle Disinflation wie in den USA oder der Eurozone. Leicht steigende Energiepreise sowie das Auslaufen der Mehr-wertsteuersenkung werden 2010 wieder für eine höhere Inflation verantwortlich sein.

Geldpolitik: Mittel nahezu ausgeschöpft
Die Bank of England (BoE) beschloss auf ihrer Sitzung Anfang Mai, die quantitative Lockerung auszuweiten. Zusätzlich zu dem bisher angestrebten Volumen von 75 Mrd. Pfund möchte die BoE Wertpapiere, vor allem Staatsanleihen, in Höhe von 50 Mrd. Pfund kaufen. Die neuen Maßnahmen werden für drei weitere Monate angesetzt. Das bisherige Programm war ebenfalls auf drei Monate angelegt und läuft im Juni aus. Bis Ende April hatte die BoE etwa zwei Drittel der vorher ange-strebten Käufe getätigt. Mit dem neuen Volumen von insgesamt 125 Mrd. Pfund schöpft die BoE die vom Finanzminister genehmigten 150 Mrd. Pfund noch nicht vollständig aus. Den Leitzins ließ die Notenbank unverändert bei 0,5 %. Dieses Niveau dürfte bis auf weiteres Bestand haben. Im neuen Inflationsbericht prognostiziert die BoE, dass die Teuerung bis 2010 trotz der niedrigen Zinsen nicht wieder auf die Zielmarke von 2 % ansteigt. Auch deshalb nutzt sie quantitative In-strumente, um den Gefahren einer zu niedrigen Inflation oder gar Deflation zu begegnen. Die neue Projektion der Notenbank liegt etwas über der vorherigen aus dem Februar. Die Wachstumserwar-tungen hingegen wurden leicht nach unten revidiert.

Die Ausweitung des Kaufprogramms muss aber wohl im Zusammenhang mit der Entwicklung am Rentenmarkt gesehen werden. Der Renditerutsch von Staatsanleihen nach Bekanntgabe der un-konventionellen Maßnahmen im März wurde mittlerweile wettgemacht. Ein konjunkturell expan-siver Effekt des Kaufprogramms wird von den wieder gestiegenen Zinsen begrenzt. Die zusätzli-chen 50 Mrd. Pfund sind als Reaktion auf die Rentenmarktentwicklung zu sehen und dienen zur Begrenzung des Renditeanstiegs. Im Wesentlichen hat die Geldpolitik ihre Mittel bis auf weiteres ausgeschöpft. Gravierende Änderungen sind für die nächsten Monate nicht zu erwarten.

Rentenmarkt: Staatlicher Schuldenwahn
Die Renditen für zehnjährige britische Staatsanleihen sind zuletzt in der Spitze bis auf 3,7 % ange-stiegen. Noch im März nach dem Notenbankentscheid notierte die Rendite unter 2,9 %. Der An-stieg steht zwar im Einklang mit der Entwicklung an den internationalen Rentenmärkten. In Groß-britannien spielt darüber hinaus die ausufernde Staatsverschuldung eine wesentliche Rolle. Im neuen Haushaltentwurf der britischen Regierung wird für das laufende Fiskaljahr von einer Neu-verschuldung von 12,4 % ausgegangen. In der Folgeperiode soll die Haushaltslücke noch 11,9 % betragen. Auch dank einer geplanten restriktiveren Fiskalpolitik soll sich bis 2013/14 der Fehlbe-trag zwar reduzieren. Er bleibt aber mit 5,5 % auf einem hohen Niveau. Zudem wirken die der Projektion zugrunde liegenden Wachstumsannahmen gerade für die Jahre 2011-14 mit Blick auf die strukturellen Probleme der britischen Wirtschaft recht ambitioniert.

Das Bruttoemissionsvolumen an Gilts soll im Fiskaljahr 2009/10 220 Mrd. Pfund betragen. Das Angebot an britischen Staatsanleihen wird auch in den nächsten Jahren hoch bleiben. Der Rentenmarkt gerät deshalb zumindest phasenweise unter Druck. Die Käufe der Notenbank bieten eine gewisse Linderung und dürften einem stärkeren Renditeanstieg entgegenstehen. Die konjunkturel-le Entwicklung spricht hingegen für steigende Zinsen. Zwar wird sich die britische Wirtschaft nur mühsam ihrem Potenzialwachstum annähern und die Inflation gemäßigt bleiben. Allerdings spricht die realwirtschaftliche Stabilisierung auch für eine Normalisierung am britischen Rentenmarkt, zehnjährige Staatsanleihen dürften gegen Jahresende wieder über 4 % rentieren. Im historischen Vergleich wäre dies immer noch ein sehr niedriges Renditeniveau. Die Steilheit der Zinsstruktur ist derzeit extrem ausgeprägt. Dies dürfte vorerst anhalten und ist vermutlich politisch gewünscht. Eine steile Zinsstruktur erhöht in der Regel die Gewinne der Banken und sollte zur Gesundung des Finanzsektors beitragen. Erst 2010 ist mit einer Abflachung zu rechnen.

Devisenmarkt: Gebremste Pfund-Erholung
Nachlassende Konjunkturängste und eine abnehmende Risikoaversion begünstigen das Pfund Sterling. Der Euro-Pfund-Kurs fiel zwischenzeitlich auf 0,88, zog zuletzt aber wieder etwas an. Die britische Währung hat in der Krise besonders an Wert verloren. Im Umkehrschluss überrascht es daher nicht, dass das Pfund von einer Entspannung stärker als andere Währungen profitiert. Allerdings bleibt das Umfeld für die britische Währung vorerst schwierig. Die zusätzlichen Maß-nahmen der BoE, also vereinfacht die Ausweitung des Gelddruckens, belasten das Pfund tenden-ziell. Zwar beginnt die Europäische Zentralbank demnächst auch mit dem Erwerb von Pfandbrie-fen und folgt damit indirekt der BoE. Allerdings bleiben die Maßnahmen in ihrem Ausmaß deut-lich hinter den britischen Käufen zurück. Kurzfristig könnte der Euro deshalb gegenüber dem Pfund aufwerten. Der massive Anstieg der Staatsverschuldung in Großbritannien dürfte sich psy-chologisch eher negativ auf das Pfund auswirken.

Im Jahresverlauf dagegen dürfte die britische Währung wieder auf den Erholungspfad zurückfin-den. Die auf dem Pfund lastende Risikoprämie wird sich wohl weiter verringern. Die sehr expan-sive Geldpolitik der BoE wird auslaufen, d.h. die Aufkaufprogramme werden nicht mehr fortge-setzt. Zinserhöhungen stehen zwar für absehbare Zeit nicht auf der Agenda. Allerdings dürfte die BoE eine der ersten Zentralbanken sein, die einen Kurswechsel vornimmt. Außerdem ist die briti-sche Währung gegenüber dem Euro aus langfristiger Sicht deutlich unterbewertet. Bis Jahresende dürfte der Euro-Pfund-Kurs auf 0,80 zurückgehen. Gegenüber dem US-Dollar wird sich die briti-sche Währung eher seitwärts entwickeln. Ein Pfund konnte sich auf 1,50 US-Dollar verteuern. Sowohl die US- als auch die britische Geldpolitik dürften sich relativ ähnlich entwickeln, so dass mit größeren Kursausschlägen nicht gerechnet werden muss.

Marita Prochaska
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